Von der verblüffenden Einfachheit der Lochkamera fasziniert – Peter Olpe im Interview zum 14. Lochkamera-Fotografietag

Peter Olpe ist ein bekannter Name in der Welt der Lochkamerafotografie. Mit der Ausstellung und dem Buch «Out of Focus» hat er sich und seinen Lochkameras ein Denkmal gesetzt.

Ich habe Peter Olpe für ein Interview angefragt. Entstanden ist ein ausführlicher, spannender Erfahrungsbericht mit vielen Tipps exklusiv für dieses Blog. Ich veröffentliche das Gespräch in drei Teilen. Anlass ist natürlich der 14. Welt-Lochkamera-Fotografietag vom 27. April 2014.

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Peter Olpe blickt durch ein Loch.

Seit über 35 Jahren beschäftigt sich der Schweizer Peter Olpe mit der Lochkamerafotografie. Der Grafiker und frühere Lehrer an der Schule für Gestaltung Basel schenkte vor zwei Jahren rund 90 seiner Apparate dem Schweizer Kameramuseum in Vevey. Zudem lud Olpe 36 Fotografinnen und Fotografen zu einem Tauschhandel ein: Er stellte eine seiner Lochkameras zur Verfügung, und sie lieferten Bilder für das Projekt «Out of Focus». Das Buch erhielt beim Deutschen Fotobuchpreis eine Silber-Auszeichnung.

Interview mit Peter Olpe

Teil 1

Als Sie Ihren Studenten Lochkameras zeigten, an welchem Punkt gewannen Sie ihr Interesse – was ist das Faszinierende, das Leute in der Lochkamerafotografie entdecken?

Mein eigenes Lochkameraerweckungserlebnis hatte ich in der Mittelschule. Mein Klassenlehrer hatte uns davon erzählt und inspirierte mich, eine Schuhschachtel mit einem Seidenpapier als Mattscheibe und einem stricknadelgrossen Loch als Aufnahmeöffnung auszurüsten. Ich stand hinter dem Haus mit einem Pullover über dem Kopf und der Schuhschachtel und sah die Silhouetten der Bäume, auf die ich die Kamera ausgerichtet hatte, auf der Mattscheibe. Ich denke, die meisten Lochkamerafotografen haben ein ähnliches Erweckungserlebnis. Ob es mir als Lehrer an der Schule für Gestaltung gelungen ist, meinen Schülern zu einem solchen magischen Erlebnis zu verhelfen, kann ich nicht sagen. In der Schule in Basel habe ich die Lochkamera zur Einführung in die Fotografie benutzt. Die Absolventen des gestalterischen Vorkurses arbeiteten mit einer Kamera mit einem kleinen Studioraum davor, der fest mit ihr verbundenen war. Alles in gegebenen Abmessungen. Während eines Semesters fotografierten sie auf Fotopapier die Lichtverhältnisse an den Wänden des Studioraumes. Diese extreme Vereinfachung hatte das Ziel, das Licht als wichtigsten gestalterischen Faktor des fotografischen Bildes zu erleben. Dass ich dafür die Lochkamera benutzte, hatte vor allem praktische Gründe. Eine ganze Klasse konnte gleichzeitig mit einem einfachen Gerät, das jeder selbst gebaut hatte, arbeiten. Eine Studioeinrichtung war nicht erforderlich, weil das «Aufnahmestudio» Teil der Kamera war. Auch der Aufwand in der Dunkelkammer blieb gering. Positivkopien entstanden im Kontakt auf dem gleichen Material, wie das Negativ. Was heute jemanden dazu bringt, sich eine Lochkamera zu bauen, ist wahrscheinlich das gleiche, was mich angeregt hat. Ich war von der verblüffenden Einfachheit der Apperatur fasziniert. Die Bilder hatten eine besondere, etwas rohe Schönheit und hoben sich deutlich ab von der bunten Bilderwelt, in der ich mich täglich bewegte. Ich versuchte herauszufinden, wie sich das Bild manipulieren lässt. Für mich war immer die Nähe zum Zeichnen wichtig. Ich wollte die Fotografie auf eine ähnliche Art betreiben können wie das Zeichnen, in unmittelbarem Kontakt mit dem Arbeitsgerät (Kamera oder Bleistift). In den Sechzigerjahren erlebte die Lochkamerafotografie in den USA eine Hausse. An vielen Kunsthochschulen (übrigens auch in Deutschland) wurde damit experimentiert und in der Hippiebewegung spielte sie eine Rolle. Die Beschäftigung mit ihr war auch als Protest zu verstehen. Ich schloss mich, etwas verspätet, diesem Protest an und verweigerte mich den Segnungen der Fotoindustrie, indem ich möglichst alles selber machte und auf das verzichtete was meiner Meinung nach für die Bildherstellung nicht wirklich bedeutend war (teure Objektive, Belichtungsmesser und die vielen elektrischen, später elektronische Hilfsmittel).

Bauten Sie Kameras für einen bestimmten Aufnahmezweck, oder suchten Sie sich die Motive erst, wenn eine Kamera fertig war?

Die ersten Kameras baute ich in den Siebzigerjahren als Vorbereitung für den Unterricht an der Schule für Gestaltung, Apparate für Linsen und Löcher, zuerst für Fotopapier, dann für Rollfilm. Als ich mich selbst in meiner künstlerischen Arbeit intensiver damit zu beschäftigen begann, waren es Ferienreisen, die mich inspirierten, besondere Kameras zu bauen. Dies waren dann Rollfilmlochkameras für den 120er Film. Ich fotografierte damit die typischen Reisebilder des Kulturtouristen, aber ohne besonders darauf zu achten, was die Kameras aufnahmen. Sie hatten keinen Sucher, führten also ein gewisses Eigenleben. Meist legte ich sie an den Orten, wo ich mich etwas länger aufhielt, auf den Rücken und fotografierte senkrecht nach oben, in den Himmel oder an die Decke der Räume. Wenn ich die Filme später entwickelte, liess ich mich überraschen, was die Kamera gesehen hatte. Die Belichtungszeit ergab sich besonders bei Innenräumen aus der Dauer des Aufenthalts. Im Freien musste ich aufpassen, damit ich nicht zu lange belichtete, in Innenräumen konnten auch Belichtungszeiten von einer Stunde und mehr keinen Schaden anrichten. Beim Bau der Kameras variierte ich das Aufnahmeformat, nutzte die Möglichkeit, über die Proportion des Bildes auf dem Band des 120er Films frei verfügen zu können. Manchmal unterteilte ich den Bildraum der Kamera in Felder unterschiedlicher Grösse. Damit versuchte ich das fotografische Bild zu abstrahieren, ihm einen Rhythmus zu geben, der aus der Abfolge der verschiedenen Bildgrössen auf dem Band entstehen sollte. Dazu kam die Möglichkeit der Mehrfachbelichtungen, weil ich mit meinen Kameras den Film beliebig vor- und zurückspulen konnte. Zu Beginn der Nullerjahre realisiert ich mein letztes Lochkameraprojekt, angeregt durch die Einladung des Museums für Gestaltung in Basel, die eine Veranstaltungsreihe zum Thema Schatten planten. Ich baute eine Apperatur, die ähnlich dem Schulmodell über einen Studioraum mit nüchternen weissen Wänden verfügte in den die Kamera hinein blickte. Nur nach oben und ausserhalb des Blickfeldes der Kamera, war der Raum offen um Licht aufzunehmen. Ich lud die Kamera mit Farb-Rollfilm und nahm sie mit auf eine klassische Ferienreise nach Oberitalien, mit Stationen in Mailand, Rimini, Urbino, usw. Ich fotografierte die Farbe der Schatten auf den Wänden des Studioraumes und zwar als Reflektion des Lichts berühmter Bauwerke, wie des Mailänder Bahnhofs, der Kirche Albertis in Rimini, des Herzogspalasts in Urbino, der Fassade von San Petronio in Bologna usw. Der Ort selbst blieb unsichtbar, die Farbe des Schattens auf den Wänden meines Studioraumes zeugte alleine von ihrer Anwesenheit.

Worauf ist bei der Auswahl von Motiven zu achten – welche funktionieren mit der Lochkamera besonders gut?

Ich denke nicht, dass es besonders gute oder weniger geeignete Motive gibt. In jedem Fall wird die Lochkamera das Motiv in ein «Lochkamerabild» verwandeln. Natürlich wird man Schwierigkeiten haben, bewegte Motive fotografisch einzufrieren; dafür hat die Lochkamera ihre eigene Methode und jeder Lochkamerafotograf kennt das weiche Verfliessen bewegter Objekte. Generell lässt sich vielleicht sagen, dass die Lochkamera es gerne hat, wenn viel Licht vorhanden ist. Auch direktes Sonnenlicht, das der «normale» Fotograf eher meidet, weil es harte Schatten zur Folge hat, ist für die Lochkamera kein Problem – die generelle Weichheit des Lochkamerabildes löst den Kontrast auf. Schwierig scheint mir das Arbeiten mit wenig Licht, etwa in Innenräumen und Nachts. Auch stundenlanges Belichten bringt da nicht viel. Das Filmmaterial reagiert schlecht, wenn mit geringen Lichtmengen und langen Zeiten gearbeitet wird. Bei klassischem Filmmaterial, selbst mit hohen Empfindlichkeiten, ist die Auswirkung des Schwarzschildeffekts sehr stark. Nur die hellsten Lichter haben eine Chance eine Spur auf dem Filmmaterial zu hinterlassen.

Bleibe dabei für die Fortsetzung:


Hier ist der zweite Teil des Interviews mit Peter Olpe.

Es geht in diesem Teil des Interviews um einige technische Aspekte der Lochkamerafotografie. Und um Peter Olpes eigene Kameraproduktion. Weiter geht es also mit meinen Fragen:

Als ich meine 4x5-Inch-Lochkamera baute, habe ich überhaupt keine Berechnungen angestellt. Welche Berechnungen empfehlen Sie für beste Resultate?

Es gibt ein Leben als Lochkamerafotograf auch wenn man von den Zusammenhängen Bildweite, Lochgrösse, Schärfe und Belichtungszeit keine blassen Schimmer hat (Bildweite meint der Abstand zwischen Loch und Abbildungsebe). Man macht ein Loch und das Bild passt, egal wie scharf oder unscharf es ist.

Immer wieder hat mich der bescheidene Kenntnisstand berufserfahrener Fotografen überrascht, wenn ich ihnen diese Zusammenhänge näher zu bringen versuchte, in der Meinung, ich würde ihnen damit das Arbeiten einfacher machen. Das Gegenteil war der Fall, die Verwirrung wurde immer grösser, je mehr ich ihnen erzählte. Man wird also nicht unbedingt glücklicher, je mehr man mit der Wellenoptik und dem Schwarzschildeffekt vertraut ist.

Bei der Herstellung der Öffnung ist darauf zu achten, dass das Material extrem dünn und das Loch perfekt rund ist. Es gibt eine Formel, mit der man die optimale Öffnungsgrösse bestimmen kann, um die beste Auflösung (Schärfe) zu erreichen und eine weitere Formel, mit der die Lichtstärke eruiert wird. Sie lautet (nach Daniel Schoeneck dipl ing. ETH): nehme die Bildweite in Millimeter und ziehe die Quadratwurzel, das Resultat multipliziere mit 0,038. Damit erhältst du den Lochdurchmesser. Ein einfaches Beispiel: Die Bildweite ist 100mm. Wurzel ist 10, multipliziert mit 0,038 ergibt 0,38 oder aufgerundet 0,4mm für den Lochdurchmesser. Im Internet sind überall Tabellen im Umlauf, sie unterscheiden sich nicht stark.

Wie gehen Sie vor, um die Belichtungszeit zu bestimmen?

Meistens nach Gefühl. Manchmal stelle ich wilde Berechnungen an, doch wenn ich fotografiere, verlasse ich mich meist auf das Bauchgefühl. Natürlich kann man die Zeit berechnen: Arbeitet man mit einem Belichtungsmesser (es kann auch die Belichtungsautomatik einer Kamera sein), benötigt man die Blendenöffnung der Lochkamera.

Es ist besser in diesem Zusammenhang von der Lichtstärke zu sprechen, denn bei der Lochkamera kann man die Blendenöffnung nicht frei wählen. Die Lichtstärke ist die einzige und gleichzeitig grösste Blendenöffnung der Kamera.

Die Lichtstärke wird in einer Zahl ausgedrückt, sie beschreibt das Verhältnis zwischen Öffnungsdurchmesser und Bildweite. Sie sagt aus, wie oft der Öffungsdurchmesser in der Bildweite Platz hat.

Bleiben wir beim Beispiel oben, mit dem wir den Durchmesser bestimmt haben, also 100mm Bildweite und Teilen 100 durch 0,4mm. Das Resultat ist 250. Die Lichtstärke beträgt also 1:250. Diese Zahl kann man in die erweiterte Blendenreihe einordnen: 1 1,4 2 2,8 4 5,6 8 11 16 22 32 45 64 90 128 180 256 bzw. 250 . Nun kann man die Zeit der Lochkamera mit einer Lichtstärke von 1:250 ausgehend von einer Messung z.B. mit Blende 22 hochrechnen.

Erschwerend bei der Rechnerei kommt dazu, dass der Schwarzschildeffekt in der Lochkamerafotografie, besonders bei geringen Lichtmengen und langen Belichtungszeiten, eine entscheidende Rolle spielt. Sind die errechneten Zeiten länger als ca. 10 Sekunden, wirkt er sich aus (die errechnete Zeiten führt zu einer Unterbelichtung). Dafür verweise ich auf die Erklärung der Zusammenhänge in meiner Publikation «Die Lochkamere, Funktion und Selbtsbau» erschienen bei Lindemanns Verlag Stuttgart (leider vergriffen aber immer noch auf verschlungenen Wegen erhältlich). Und natürlich gibt es Tabellen im Internet, die man zur Kompensation des Schwarzschildeffekts konsultieren kann.

Die meisten Lochkamerafotografen, die ich kenne, rechnen nicht. Nach ein zwei Filmen weiss man grob, was man tun muss, und geht der Nase nach. Diese technischen Hinweise beziehen sich ausschliesslich auf die «nasse» Fotografie. Baut man eine Lochkamera vor einer elektronischen Rückwand, sieht wahrscheinlich vieles anders aus, besonders wenn man mit geringen Lichtmengen fotografiert. Aber dazu kann ich mich mangels Erfahrung nicht äussern.

Sie haben gesagt, Sie wollten den Beweis erbringen, dass Lochkameras aus Ihrer Werkstatt genauso Leistungsfähig sein könnten, wie Kameras von Nikon, Leica oder Hasselblad. Haben Sie dies geschafft und in welcher Form liegt der Beweis vor?

In den späten Neunzigerjahren hatte ich zwei Kameramodelle, für die Formate 6x9 und 6x6 als Selbstbau-Kameras aus vorgestanzten Wellkartonteilen, in Auflagen von mehreren tausend Stück, herausgebracht. Sie verkauften sich gut in Museumsshops in der Schweiz und im Versandhandel. Ich betrieb während etwa drei Jahren, zusammen mit meiner Frau, eine keine Kameraproduktion. Die Bastelsets wurden von einer Behindertenwerkstatt zusammengestellt, die Löcher wurden von einem Betrieb im Schwarzwald gelasert und ab und zu flogen unsere Apparate nach Japan und die USA. Ich nehme an, ich war keine wirkliche Konkurrenz für Nikon und Hasselblad. Aber immerhin sah ich einmal unsere Kamera auf dem Regal von B&H Photo an der 9. Strasse in New York neben anderen Mittelformatkameras stehen und dachte mir, was die können, nämlich Fotobücher produzieren, die unter Beweis stellen, wie toll ihre Kameras in den Händen von Fotografen funktionieren, das kann ich auch. Die Ausstellung in Vevey war dann der Anlass diese Idee wieder aufzugreifen. Ich benutzte aber nicht die alten Serienmodelle dafür, sondern bot Fotografen und Künstlern an, eine individuelle Kamera nach ihren Wünschen zu bauen, die sie behalten konnten, wenn ich die Bilder, die sie mit ihr aufgenommen hatten, in meinem Buch zeigen durfte.

Ob man nun die Leistungsfähigkeit einer Lochkamera aus Graukarton und leimgetränkter Verbandsgaze nach den gleichen Kriterien beurteilen kann wie ein aktuelles Hightechprodukt aus dem Hause Canon, bezweifle ich. Ich habe aber keine Klagen gehört, dass meine Apparate nicht recht funktioniert hätten. Es gab auch nicht viel an ihnen, was nicht hätte funktionieren können.

Die Lochkameras von Peter Olpe dokumentiert das Schweizer Kameramuseum Vevey in diesem PDF.

Das Buch und die Ausstellung «Out of Focus» sind auch noch einmal Thema im Teil 3. Dran bleiben!


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Out of Focus – Lochkameras und ihre Bilder, das Buch von Peter Olpe

Das ist der dritte und letzte Teil des Exklusiv-Interviews mit dem Schweizer Lochkamerakonstukteur und -Fotografen Peter Olpe.

Hier geht es um die Kreativität des Benetton-Fotografen Oliviero Toscani und das gefundene Bild in der Kamera von Alec Soth, zwei der berühmtesten Fotografen, die an Peter Olpes Projekt «Out of Focus» teilnahmen.

Weiter mit dem Interview mit Peter Olpe:

Welche Qualitäten im Blick für Motive bringen Spitzenfotografen wie Oliviero Toscani oder Alec Soth mit, die sich dann auch in ihren Lochkamerafotos zeigen?

Ich denke, bei den Fotografen, die sich bei der Tauschaktion für mein Buch «Out of Focus» auf die Lochkamera eingelassen haben, stand die Lust im Vordergrund, mit diesem archaischen Apparat zu fotografieren. Es gab aber auch unter ihnen einige ausgewiesene Lochkamerakünstler, und ihre Motivation war sicher eine andere.

Um auf die beiden genannten Personen kurz einzugehen: mit Oliviero Toscani war es sehr einfach. Wir telefonierten zweimal, tauschten Mails und die Sache war erledigt. Er hat ein Studio mit Mitarbeitern in der Nähe von Pisa und das Tauschgeschäft war wahrscheinlich ein ziemlich kleines Geschäft für ihn. Ich sehe in den Portraits, die er für mich gemacht hat, das für seine Arbeit typische serielle Vorgehen. Er ist gewohnt seine Motive auf ihre Zeichenhaftigkeit hin zu untersuchen. Er ist konzeptionell sehr stark und in der Umsetzung nahe am Material. Vielleicht klingt hier noch seine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule in Zürich nach. Er hat die besondere Charakteristik der Lochkamera genutzt, ihre totale Tiefenschärfe und Papierabzüge reproduziert, die er vor der Kamera in alle möglichen Richtungen verdrehte und verbog.

Mit Alec Soth war es etwas schwieriger. Sein Bild ist wahrscheinlich einem Missverständnis zuzuschreiben und nicht Frucht konzeptueller Überlegungen wie bei Toscani. Soth ist ein Dokumentarist, geht den Lebensläufen von meist etwas randständigen Menschen in seiner Heimat Minnesota nach. Seine Bilderstrecken sind Recherchen über diese Personen und die Orte wo sie leben. Über seinen Berliner Galeristen hatte ich ihn kontaktiert. Nachdem er sich spontan am Telefon einverstanden erklärt hatte, zog sich die Sache über Monate hin, bis zu dem Punkt, dass er aufgab, er habe definitiv keine Zeit, liess er mich wissen. Es gab eine Rückgabeklausel, wenn also nichts daraus wurde, konnte man mir die Kamera zurückschicken und alles war vergessen. Also schickte Alec Soth die Kamera zurück. Ich fand in der Kamera einen Film mit drei Belichtungen. Eines der Bilder war interessant und zeigte einen geheimnisvollen Ort mit einem Raubtier auf einem Hügel in einer Halle mit künstlicher Beleuchtung. Natürlich fragte ich ihn, ob ich das Bild, das er ganz offensichtlich vergessen hatte, ins Buch aufnehmen darf, er war einverstanden, hat aber nie eine Erklärung abgegeben um welchen Ort es sich handelt oder unter welchen Umständen das Bild zustande gekommen ist. Also weiss ich über seine Motivation nichts zu sagen. Die Kamera habe ich ihm natürlich wieder zurückgeschickt.

Es scheint, als verewigen Sie in Ihrem Buch «Out of Focus» Ihr Lebenswerk. Wie ist heute ihr Gefühl zum Buch und wie es angenommen und mit Preisen ausgezeichnet wurde?

Ja, es war schön für mich, meine Lochkamerageschichte mit einer Ausstellung und dem Buch «Out of Focus» abschliessen zu können. Das Buch ist der Ausstellungskatalog meiner Schau im Kameramuseum Vevey von 2012. Ich hatte dem Museum etwas mehr als 90 selbstgebaute Kameras geschenkt, die über einen Zeitraum von etwa dreissig Jahren entstanden sind. Dafür organisierten Pascale Bonnard und Jean-Marc Yersin, Direktorin und Direktor des Museums, die Finanzierung des Buches und der Ausstellung. Alles ging wunderbar auf, auch das Tauschprojekt mit den Fotografen und Künstlern, die mit ihren Bildern die erste Hälfte des Buches bestreiten.

Zu dem Zeitpunkt, als ich die Arbeiten für Buch und Ausstellung aufnahm, hatte ich seit fast zehn Jahren nichts mehr auf diesem Gebiet gemacht. Und die Zeit, als ich Bastelsets für Lochkameras aus vorgestanzten Wellpappebestandteilen verkaufte, lag auch schon weit zurück. Es war also eine zeitlich befristete Reanimation.

Jetzt ist es wieder ruhig, und die Lochkamerafotografie schläft bei mir, nur gelegentlich wird sie wieder lebendig, wenn ich einen Workshop in einer Schule mache oder auf speziellen Wunsch eine einzelne Kamera baue.

Was berührt Sie heute noch, wenn Sie sich Lochkemarafotografien etwa in der Galerie auf pinholeday.org ansehen?

Schön, wenn es weiterhin Lochkamerafotografinnen und –fotografen gibt, die ihre Apparate selbst bauen, mit ihrem Herzschlag die Belichtunsgzeit zählen und aufgeregt in die Dunkelkammer verschwinden, um beim Entstehen des Bildes im Entwickler dabei zu sein. Oft wenn ich jemandem begegne, der von meiner Lochkameravergangenheit weiss, höre ich die Beteuerung, dass gerade jetzt die Lochkamerafotografie wieder schwer im Kommen sei. Das freut mich natürlich, auch wenn mir auffällt, dass sich dieses «Jetzt» in gewissen zeitlichen Abständen wiederholt. Wenn sie gerade im Kommen ist, denke ich dann, wird sie nicht gerade am Verschwinden sein, und zum Glück ist mir noch nie jemand begegnet, der mich auf ihr Verschwinden hingewiesen hätte.

Machen Sie am 27. April, am 14. weltweiten Lochkameratag, auch eine Aufnahme mit einer Lochkamera?

Mal sehen, es könnte sein eher nicht, aber vielleicht doch …

Ich bedanke mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei Peter Olpe für seine Antworten. Ich fand seine Schilderung aus seiner Erfahrung lehrreich, unterhaltsam und sehr sympathisch.

#olpezitat

Welches ist dein Lieblingszitat von Peter Olpe im Interview? Ich finde, es hat ein paar schöne Sätze, die man sich merken kann und die sich gut zum Twittern eignen. Es wäre doch eine schöne kleine Twitteraktion, wenn alle ihr Lieblingszitat mit dem Hashtag #olpezitat twittern. Lasst uns mal sehen, was dabei raus kommt.